Vollständiger ziviler Ungehorsam: Überlegungen zu einer vergessenen politischen Idee

  • Termin: Di., 03. Dezember 2019, 19:00 Uhr
  • Leitung: Prof. Dr. Jürgen Manemann
  • Ort: fiph, Gerberstr. 26, Hannover
Fellow-Vortrag Eraldo Souza dos Santos MPhil (Paris)

Ziviler Ungehorsam, so lernen wir, setze die allgemeine Legitimität eines politischen, rechtlichen Systems voraus. Darin bestehe der Unterschied zwischen zivilem Ungehorsam und kriminellen Akten einerseits, und zivilem Ungehorsam und revolutionärem Handeln andererseits. Gandhis Konzeption des zivilen Ungehorsams und des antikolonialen Kampfes widerspricht allerdings dieser gängigen Ansicht.

In einem seiner frühen Aufsätze theoretisierte Gandhi eine Form des Widerstands, die er als „vollständigen zivilen Ungehorsam“ (complete civil disobedience) begriff. 1921 schrieb er: „Vollständiger ziviler Ungehorsam ist ein Zustand friedlichen Aufstands – eine Weigerung, auch nur einem einzelnen der vom Staat erlassenen Gesetze zu gehorchen“. Für Gandhi war diese Haltung „gefährlicher als ein bewaffneter Aufstand“.

Gandhis Auffassung des zivilen Ungehorsams wird in dieser Hinsicht nur verständlich, wenn wir seine radikale Kritik der Gewalt in Betracht ziehen. Für Gandhi zielt ziviler Ungehorsam nicht auf die Verbesserung des Staates (the State), sondern auf seine Abschaffung in „einem Zustand (a state) von aufgeklärter Anarchie“.

Der Vortrag wird die Geschichte der heute vergessenen Idee des vollständigen zivilen Ungehorsams rekonstruieren und ihre moralischen und politischen Voraussetzungen problematisieren. Im Zentrum der Diskussion wird die Frage stehen: Gibt es in den sogenannten westlichen Demokratien Platz für vollständigen zivilen Ungehorsam?

Eraldo Souza dos Santos MPhil ist Fellow am fiph. Zurzeit promoviert er an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne mit einem Projekt zur Geschichte und Theorie des zivilen Ungehorsams.