„Die Geburt des Menschen aus dem Geiste der Violenz“ – Jean Améry als Leser Frantz Fanons

  • Termin: Di., 03. November 2015, 17:00 Uhr
  • Leitung: Dipl.-Pol. Jeanette Ehrmann
  • Ort: Vortragsraum des fiph, Gerberstr. 26, Hannover
Vortrag von fiph-Fellow Dipl.-Pol. Jeanette Ehrmann (Frankfurt a.M.)

Jede Kritik an der Gewalt bestehender Verhältnisse ist mit der Frage konfrontiert, inwiefern ihre Durchsetzung selbst nicht ohne die Anwendung von Gewalt auskommt. Gewalt und Gegengewalt stehen dabei in einem Spannungsverhältnis, das sich historisch immer wieder neu artikuliert. Dass die Frage der Gewalt nie allein moralisch geklärt werden kann, verdeutlicht Frantz Fanons Essay „Von der Gewalt“ (1961). Jenseits einer Dichotomie von Herrschern und Unterdrückten beschreibt er, wie die koloniale Gewalt sich in den Körper und den Geist, in die Affekte und die Träume der Kolonisierten einschreibt. Die Befreiung von Gewaltherrschaft ist daher für Fanon auf die kathartische Wirkung revolutionärer Gewalt angewiesen, durch die allein eine Transformation des verwundeten Seins, eine Realisierung des Menschseins möglich wird. In seinem Aufsatz „Die Geburt des Menschen aus dem Geiste der Violenz“ (1968) knüpft Jean Améry, selbst von der Folter durch die Nationalsozialisten gezeichnet, emphatisch an Fanons Phänomenologie der Gewalt an. Auch wenn Améry Fanons Einschätzung hinsichtlich der historischen und ontologischen Bedeutung revolutionärer Gewalt teilt, fragt er stärker als dieser nach den „Grenzen politischer Gewaltphilosophie“. Für ihn birgt die Entfesselung der Gewalt nicht nur die Hoffnung zukünftiger Freiheit, sondern ebenso die Gefahr einer neuen Katastrophe. Anhand der Auseinandersetzung Amérys mit Fanon zeichnet der Vortrag zwei Entwürfe eines radikalen Humanismus nach, die im Angesicht der Gewalt gedacht werden – aus der Position des Kolonisierten und des Juden, vom Ort der Kolonie und des Ghettos.

Dipl.-Pol. Jeanette Ehrmann studierte Politologie, Soziologie, Sozialpsychologie und Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt und an der University of Cyprus. Von 2009 bis 2011 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies. Derzeit promoviert sie an der Goethe-Universität Frankfurt zum Thema „Tropen der Freiheit. Der radikale Universalismus der Haitianischen Revolution“.