Das Elend deutscher Sterbehilfedebatte und ein Wagnis, den assistierten Suizid als ethisch-politische Aufgabe zu begreifen

Fellow-Vortrag: Simon Duncker MA

Seit 2020 das BVerfG das Verbot „geschäftsmäßiger Sterbehilfe“ (§ 217 StGB) für nichtig erklärte, wird in Deutschland wieder über Suizidassistenz diskutiert. Weil Würde beinhalte, mit Hilfe Dritter den eigenen Tod selbstbestimmt zu gestalten, dürfe die Gesetzgeberin Wege zum assistierten Suizid zwar gesetzlich rahmen, nicht aber versperren – so das Gericht. Das gilt für jedes Subjekt, das einen freien Willen zu artikulieren in der Lage ist.

Das Gericht hat eine umfassende Liberalisierung erzwungen, die keine Regierung je so gewollt hat. Doch die Debatte bleibt in zwei Lager gespalten. Implizit stehen sich alte philosophische Auffassungen von Subjekt, Staat und moralischer Wertung des Suizids gegenüber – ohne politisch als solche verhandelt zu werden. Stattdessen beobachten wir Vermeidungsstrategien: Kompromissversuche tendieren dazu, die schwierige Vermittlung praktisch den medizinischen und psychologischen Professionen zu überlassen.

Der Vortrag möchte in Genese und Struktur der deutschen Sterbehilfedebatte einführen und für Mut plädieren, assistierten Suizid nicht als professionelles, sondern ethisch-politisches Problem und Aufgabe zu begreifen - um eine breite gesellschaftliche Debatte darüber führen zu können, welche Ordnung wir selbstbestimmtem Sterben geben möchten.

Simon Duncker promoviert an der Universität Bielefeld im Fach Soziologie mit einer Arbeit über die Genese des Suizids als Gegenstand entstehender Humanwissenschaften. Ausgehend von Michel Foucault interessieren ihn dabei Psychiatrie, Psychoanalyse und Soziologie als Denksysteme mit moralischen und machttheoretischen Implikationen. Aktuell gibt Simon Duncker einen Sammelband über historische und gesellschaftstheoretische Perspektiven auf Sterbehilfe heraus. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Zoom-Link: https://zoom.us/j/95965172277