»Feinde der Utopie um deren Verwirklichung willen« - Kritische Theorie als Inversion utopischen Denkens

  • Termin: Di., 01. Februar 2022, 19:00 Uhr
  • Leitung: Prof. Dr. Jürgen Manemann
  • Ort: online via Zoom

Fellow-Vortrag Robert Ziegelmann M.A.

Kritische Theorie unterscheidet sich von traditioneller Theorie dadurch, dass sie bewusst politisch und parteiisch ist. Sie will als Theorie zur Realisierung vernünftiger gesellschaftlicher Verhältnisse beitragen. Dieser Anspruch scheint eine Vorstellung davon zu implizieren, wie eine solche vernünftige Gesellschaft aussehen würde.
Die Klassiker der Kritischen Theorie wenden sich jedoch gegen ein Ausmalen des besseren Zustands, d.h. gegen utopisches Denken. Im Unterschied zum herkömmlichen Anti-Utopismus tun sie das aber nicht, weil sie das utopische Ziel ablehnen würden. Vielmehr sind sie – in den Worten Theodor W. Adornos – »Feinde der Utopie um deren Verwirklichung willen«.
Wie aber kann die Utopie dadurch befördert werden, dass man sich feindlich gegen sie verhält? Ausgehend von dieser Frage soll im Vortrag das Verhältnis kritischer Theorie zur Utopie bestimmt werden. Anstatt die erhoffte Zukunft aus der Perspektive der Gegenwart zu beschreiben, beschreibt kritische Theorie die Gegenwart aus der Perspektive der erhofften Zukunft. Insofern diese Inversion jedoch selbst zum Traditionsbestand des utopischen Denkens gehört, führt kritische Theorie dieses auch fort.

Robert Ziegelmann ist Fellow am FIPH und Doktorand an der HU Berlin. In seiner Dissertation geht er der Frage nach, inwiefern die Kritik an gegenwärtigen Zuständen eine Bestimmung des Besseren impliziert. Zuletzt hat er einen Schwerpunkt der Deutschen Zeitschrift für Philosophie zu Adornos geschichtsphilosophischem Naturbegriff herausgegeben und dafür einen Artikel über »Naturalisierung als Kritik« geschrieben. Neben dem gesellschaftlichen Naturverhältnis gehören die Theorie der Demokratie und ihrer Krisen zu seinen aktuellen Interessen.

Zoom-Link: https://zoom.us/j/96294568757