Verleihung Wissenschaftlicher Essaypreis "Kann Philosophie Hass erklären?"

  • Termin: Fr., 10. September 2021, 19:30 Uhr
  • Leitung: Prof. Dr. Ulrich Hemel
  • Ort: Gerberstraße 26 / Online

Akademischer Festakt

Hass scheint ein ausgeprägter Aggressionsaffekt zu sein. Es gibt heißen, durch starke Gefühle begleiteten und kalten, gefühllosen Hass. Es sind vor allem Psychologen und Psychologinnen, die in öffentlichen Diskursen versuchen, die Gründe des Hasses zu analysieren. Literaten und Literatinnen steuern detaillierte Beobachtungen bei.

All diese Versuche zeichnen sich dadurch aus, dass sie Hass in erster Linie in Handlungskategorien denken. Aber reicht das aus? Sind damit der Hass und seine Grundtönungen schon erfasst? Wird so bereits deutlich, welches Weltverhältnis im Hass zum Ausdruck kommt? Vermag eine philosophische Durchdringung des Hasses noch andere Erkenntnisse hervorzubringen, die wir benötigen, um einer Apotheose des Hasses entgegenzuwirken?
Der Essaypreis 2021 will zu einem philosophisch reflektierten Nachdenken über Hass ermutigen, um Chancen und Gefahren für das zukünftige Zusammenleben auszuloten.

Die prämierten Beiträge befassen sich mit Fragen nach Ursache und Gestaltungsmöglichkeiten in besonders origineller und philosophisch versierter Weise. Sie eröffnen neue Perspektiven auf die Frage „Kann Philosophie Hass erklären?“.

1. Platz: Dominique-Marcel Kosack (Universität Erfurt): Vertrautes Verkennen. Über den Hass und die Zumutung seiner Alternative
Der Essay setzt sich mit der Frage auseinander, ob es einen legitimen Hass gibt. Im Fokus steht dabei die Verkennung des anderen durch Hass. Referenzpunkt seiner Ausführungen ist der bekannte Aufsatz des Philosophen Aurel Kolnai, der drei Merkmale des Hasses analysiert hat. Kritisch beleuchtet Kosack gegenwärtige Stimmen, die Hass durchaus als eine legitime, ja sogar notwendige Kraft sehen, etwa gegen Feinde der Demokratie. Dieser Hass beruhe ebenso auf Verkennung. Deshalb sei die Unterscheidung zwischen einem gerechten und verwerflichen Hass nicht überzeugend. Hass bleibe schließlich ein Werkzeug, das den Werten einer Demokratie widerspricht, da er blind mache und dualistische Weltaufteilungen reproduziere.

2. Platz: Fabienne Forster (ETH Zürich): Zerbrochene Welt – Hass als Zerstörung, Anfeindung und Indifferenz
Der Essay beginnt nicht mit Hass, sondern mit Liebe. Durch die Spiegelung philosophischer Auffassungen von Liebe und Freundschaft verdeutlich Forster, was Hass ist. Hierfür deutet sie philia, eros und agape »als spezifische Weisen, Kontinuität herzustellen«. Im Hass gehe es analog um Feindseligkeit, die in einem »Übelwollen« gründet. Hass sei dementsprechend eine »indifferente Einstellung«, in der nicht projiziert oder verformt, sondern grundsätzlich verkannt und herabgesetzt, geleugnet werde. Hass stehe für die Kälte der Ignoranz. Sie bereite die aktiven Formen des Hasses vor. Kräfte gegen den Hass seien soziale Kontinuitäten und die Suche nach immer wieder neuen Zusammenhängen unter Menschen.

3. Platz: Marie Wuth (University of Aberdeen): Hate. Imaginary Roots and Fatal Dynamics of a Complex Relation
Ausgehend von dem Film La Haine (1990) des Regisseurs Mathieu Kassovitz entwickelt Marie Wuth ein spinozistisch geprägtes affekt-theoretisches Verständnis von Hass. Dieser müsse nicht nur personal, sondern als gesellschaftliches und politisches Symptom adressiert werden. Hass sei nicht bloß moralisch verwerflich, sondern unterminiere die Vorrausetzung gelingender affektiver Interaktionen. Mit erneutem Blick auf La Haine illustriert der Essay die These, dass von Hass geprägte, prekäre sozio-ökonomische Verhältnisse Menschen selbst irrational handeln lassen und damit Hass reproduzieren. Die gesellschaftliche Herausforderung des Hasses entstehe somit aus einem Wechselspiel destruktiver Handlungen und sozialer Verwerfungen.

Die Übergabe der Preise erfogt am 10. September 2021 im Rahmen eines nicht-öffentlichen akademischen Festaktes in den Räumlichkeiten des Forschungsinstitut für Philosophie Hannover. Im Anschluss an die Laudatio durch Jurymitglied Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig haben die Preisträger und Preisträgerinnen die Gelegenheit, ihre Beiträge zu präsentieren.