Das Subjekt als Gemeinwesen. Überlegungen zur kollektivenHandlungfähigkeit post-moderner Subjekte

  • Termin: Do., 21. März 2019, 19:00 Uhr
  • Leitung: Dr. Ana Honnacker
  • Ort: fiph, Gerberstr. 26, Hannover
Öffentlicher Keynote-Vortrag von Dr. Thomas Telios (St. Gallen)

Der Autor mag längst für tot erklärt sein, doch nicht alle Komplikationen, die vom politischen Bewusstsein des souveränen Subjektivitätsbegriffes herrühren, sind überwunden. Paradigmatisch steht dafür die immer noch vorherrschende Tendenz, kollektive Handlungsfähigkeit als eine Fähigkeit zweiter Ordnung zu adressieren. Dieser Tendenz zufolge kann kollektive Handlungsfähigkeit erst dann begründet werden, wenn die individuelle Handlungsfähigkeit des Subjekts ausreichend untermauert wurde. Kollektives Handeln - anders als individuelles Handeln – tritt demnach nur ein, sobald sich das individuelle Handeln als unzureichend erwiesen hat.

In meinem Vortrag versuche ich einer alternativen Begründungsstrategie kollektiver Handlungsfähigkeit Rechnung zu tragen und systematisch auszubuchstabieren, die im posthegelschen Diskurs zwar suggeriert wird, der wir dennoch nur fragmentarisch begegnen. Diese Strategie geht auf Karl Marx' unikales Diktum zurück, in seinen Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844 und im Passus über den rohen Kommunismus den Menschen in seinem individuellsten Dasein zugleich als ein Gemeinwesen dekretiert zu haben. Mithilfe ähnlicher Überlegungen genommen von Theodor W. Adorno, Jean-Luc Nancy und Catherine Malabou plausibilisiere ich, dass das Subjekt darum kollektiv handeln kann, weil es sozial-ontologisch als ein Kollektives konstruiert wird.

Kollektive Handlungsfähigkeit wird - so betrachtet - dem Subjekt qua seiner Subjektivierung zu einem Kollektiven eingepflanzt. Aus dieser Perspektive geht die kollektive der individuellen Handlungsfähigkeit voraus und braucht nicht mehr normativ begründet zu werden, um sich dann als kollektives Handeln in die Praxis umzusetzen. Letzterem entspringen nicht zuletzt neue Möglichkeiten kollektiver Handlungsformen und Praktiken, die anders als bei z.B. Judith Butlers letztem Entwurf einer assembleistischen Theorie kollektiver Handlungsfähigkeit den Vorteil mit sich bringen, kollektive Handlungsformen nicht nur ex post bloß nachvollziehen, sondern ex ante vorbereiten und in Gang setzen zu können.

Dr. phil. Thomas Telios studierte Rechtswissenschaften, Klavier und Politische Theorie in Athen, Düsseldorf und Frankfurt/M. Er promovierte am Institut für Philosophie der Universität Frankfurt/M. und dem Centre for Research in Modern European Philosophy, Kingston University London. Seit 2016 ist er Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Philosophie der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozial- und politische Philosophie des 19. u. 20.Jahrhunderts (Kritische Theorie, westlicher Marxismus, postmoderner Feminismus, französische Nachkriegsphilosophie), Theorien individueller und kollektiverHandlungsfähigkeit, der Subjektwerdung und der Gemeinschaft.