"Kann Philosophie Hass erklären?" (2021)

Die Preisträger*innen des Wissenschaftlichen Essaypreises 2021 des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover stehen fest: Dominique-Marcel Kosack, Erfurt (1. Preis), Fabienne Forster, Zürich (2. Preis), und Marie Wuth, Aberdeen (3. Preis), reichten die besten Beiträge ein.

Ist Hass als bloßer Aggressionseffekt zu erklären? Was hat der heiße, durch starke Gefühle begleitete mit dem kalten, gefühllosen Hass gemein? Greift der Fokus auf Hass als Handlungskategorie nicht allgemein zu kurz? Der Essaypreis 2021 soll dazu anregen, das Weltverhältnis zu ergründen, das im Hass zum Ausdruck kommt, um Momente der Gegenwehr auszumachen. Die prämierten Beiträge analysieren philosophisch versiert Ursachen, Verantwortlichkeiten und Gegenbewegungen des Hasses.

1. Platz: Dominique-Marcel Kosack (Universität Erfurt): Vertrautes Verkennen. Über den Hass und die Zumutung seiner Alternative
Der Essay setzt sich mit der Frage auseinander, ob es einen legitimen Hass gibt. Im Fokus steht dabei die Verkennung des anderen durch Hass. Referenzpunkt seiner Ausführungen ist der bekannte Aufsatz des Philosophen Aurel Kolnai, der drei Merkmale des Hasses analysiert hat. Kritisch beleuchtet Kosack gegenwärtige Stimmen, die Hass durchaus als eine legitime, ja sogar notwendige Kraft sehen, etwa gegen Feinde der Demokratie. Dieser Hass beruhe ebenso auf Verkennung. Deshalb sei die Unterscheidung zwischen einem gerechten und verwerflichen Hass nicht überzeugend. Hass bleibe schließlich ein Werkzeug, das den Werten einer Demokratie widerspricht, da er blind mache und dualistische Weltaufteilungen reproduziere.

2. Platz: Fabienne Forster (ETH Zürich): Zerbrochene Welt – Hass als Zerstörung, Anfeindung und Indifferenz
Der Essay beginnt nicht mit Hass, sondern mit Liebe. Durch die Spiegelung philosophischer Auffassungen von Liebe und Freundschaft verdeutlich Forster, was Hass ist. Hierfür deutet sie philia, eros und agape »als spezifische Weisen, Kontinuität herzustellen«. Im Hass gehe es analog um Feindseligkeit, die in einem »Übelwollen« gründet. Hass sei dementsprechend eine »indifferente Einstellung«, in der nicht projiziert oder verformt, sondern grundsätzlich verkannt und herabgesetzt, geleugnet werde. Hass stehe für die Kälte der Ignoranz. Sie bereite die aktiven Formen des Hasses vor. Kräfte gegen den Hass seien soziale Kontinuitäten und die Suche nach immer wieder neuen Zusammenhängen unter Menschen.

3. Platz: Marie Wuth (University of Aberdeen): Hate. Imaginary Roots and Fatal Dynamics of a Complex Relation
Ausgehend von dem Film La Haine (1990) des Regisseurs Mathieu Kassovitz entwickelt Marie Wuth ein spinozistisch geprägtes affekt-theoretisches Verständnis von Hass. Dieser müsse nicht nur personal, sondern als gesellschaftliches und politisches Symptom adressiert werden. Hass sei nicht bloß moralisch verwerflich, sondern unterminiere die Vorrausetzung gelingender affektiver Interaktionen. Mit erneutem Blick auf La Haine illustriert der Essay die These, dass von Hass geprägte, prekäre sozio-ökonomische Verhältnisse Menschen selbst irrational handeln lassen und damit Hass reproduzieren. Die gesellschaftliche Herausforderung des Hasses entstehe somit aus einem Wechselspiel destruktiver Handlungen und sozialer Verwerfungen.

Die Übergabe der Preise wird am 10. September 2021 coronabedingt im Rahmen eines kleinen Festaktes in den Räumen des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover erfolgen. Im Anschluss an die Laudatio von Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Passau, haben die Preisträger*innen die Gelegenheit, ihre Beiträge zu präsentieren.

Das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover vergibt den mit insgesamt 6000 € dotierten Essaypreis seit 2002. Prämiert werden bislang unveröffentlichte philosophische Essays, die durch innovative Ideen und ungewohnte Perspektiven die Beantwortung der gestellten Frage weiterbringen und sich auf der Höhe der philosophischen Diskussion befinden, ohne diese nochmals zu referieren. Die Jury zur Auswahl der Preisträger*innen wird gebildet vom Vorstand der Stiftung. Die Preisschriften werden auf Kosten des Forschungsinstituts veröffentlicht.

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