"Welche Technik?" (2019)

Wurde Technik in der Antike als eine Kunst im Einklang mit der Natur verstanden, so sind wir heute gleichsam auf dem breiten Sockel naturwissenschaftlich-technischer Erfindungen, die uns zur Lebenswelt und damit ganz „natürlich“ geworden sind, mit Technologien konfrontiert, die in den Augen vieler Zeitgenossen für den Bruch zwischen Natur und Technik stehen. In den Technikdiskursen, auch in den utopischen Fiktionen, mit denen die Unterhaltungsmedien die Sehnsucht nach dem nicht ganz Anderen einer abenteuerlichen Welt bedienen, wird heute auch die Idee einer (post)humanen Technik anvisiert, die den Menschen nicht nur vor den Gewalten der Natur schützt, sondern neue Potenziale entbindet und ungeahnte Freiheitsräume für den Menschen schafft, in denen dieser mehr und mehr sich selbst verwirklichen könne. In solchen Topoi sind nicht nur die Möglichkeiten der Digitalisierung thematisch mitgedacht, sondern auch die Chancen, die die Entwicklung künstlicher Intelligenzen mit sich bringen könnte. Doch sind es gerade auch diese Technologien, die immer mehr Menschen Sorgen bereiten. Es ist die Furcht vor Großtechnologien, die den Technikdiskurs der letzten Jahrzehnte prägt. Diese Furcht sensibilisiert einerseits für die Gefahr, Techniken nicht mehr kontrollieren zu können; andererseits überschattet sie aber auch die Einsicht in den Segen neuer Technologien. Währenddessen wird in den Diskursen der Technikfolgenabschätzung immer wieder darauf hingewiesen, dass die Probleme (mit) der Technik dieser nicht unbedingt inhärent, sondern häufig durch wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen verursacht seien. Was kann es auf dieser Folie heißen, dass die Frage nach der Technik lediglich eine Frage nach der „richtigen“ Technik („Ethik der Technik“) sei?

Es ist an der Zeit, erneut zu fragen, wer wie in welcher Situation und zu welchen Zwecken welche Technik nutzt; desgleichen wer wie in welcher Situation und zu welchen Zwecken von welcher Technik spricht.

Der Essaypreis 2019 will zu einem tieferen Nachdenken über Technik ermutigen, um die Chancen und Gefahren für das zukünftige Zusammenleben auszuloten.

Die prämierten Beiträge befassen sich mit Fragen nach Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten in besonders origineller und philosophisch versierter Weise. Sie eröffnen neue Perspektiven auf die Frage „Welche Technik?“. Mit hohem Problembewusstsein, Scharfsinn und Klugheit spricht sich das Autorenpaar Dr. Michael Klenk und Dr. Martin Sand für den Grundsatz „responsibility first, technology second“ aus. Begründet wird dieser Grundsatz durch eine erhellende Relecture des Prometheus-Mythos. Es komme auf eine neue Verhältnisbestimmung zwischen Verantwortung und Technologie an. Unser Verständnis von Technik, so führen die Autoren aus, müsse in einer vorwärtsschauenden kollektiven Verantwortung gründen. Eine solche Technik könnte ein Beitrag zur Bekämpfung der globalen Erwärmung und des Hungers in der Welt sein.

Bengt Früchtenicht M. Sc. geht in seinem Beitrag der Frage der Ersetzbarkeit des Menschen nach. Funktioniert unser Gehirn wie die Hardware eines Computers, der die Software unseres Geistes abspielt? Bestens vertraut mit der einschlägigen Diskussion in der philosophy of mind betont der Autor die Unübersetzbarkeit der Parameter der Computer-Intelligenz in den Modus des menschlichen Bewusstseins und argumentiert auf dieser Grundlage für dessen Unersetzbarkeit (und Unverwechselbarkeit) durch die Leistungen des Computers.

Anna-Verena Nosthoff MA und Felix Maschewski MA geben in ihrem Essay der Preisfrage eine Präzisierung: „Welche Technik schneidet uns nicht auf Bestimmtes zu?“. Sie zeigen auf, dass einige Aspekte gegenwärtiger Digitalisierungsprozesse totalitäre Potenziale aufweisen und die Konturen einer kybernetischen Kontrollgesellschaft vorzeichnen. Nicht nur neigen wir dazu, eine Rhetorik der Unausweichlichkeit zu übernehmen, auch sind wir über Smartphones und Wearables längst zu Mensch-Maschine-Wesen, zu Cyborgs geworden. Zunehmend agieren wir dabei im Rahmen digitaler Feedback-Mechanismen, die immer weniger Raum für das Abweichende und Unberechenbare, kurz: für die menschliche Freiheit lassen. Genau diese zu wahren, ist das Ziel einer alternativen Gestaltung technologischer Entwicklung. Der Essay ist ein Plädoyer für die Nutzung der niemals neutralen Verfügungsappetenz der Technik für die je eigenen Spielräume der Befreiung.

 

Die Übergabe der Preise wird am 13. September 2019 im Rahmen eines akademischen Festaktes in der Dombibliothek Hildesheim erfolgen. Im Anschluss an die Laudatio durch ein Mitglied der Jury haben die Preisträger*innen die Gelegenheit, ihre Beiträge zu präsentieren.

Die Preisschriften werden auf Kosten des Forschungsinstituts veröffentlicht.

 

 

Ausschreibung

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