Philosophie und HipHop

Im Rahmen des Schwerpunkts Neue Demokratietheorien setzen wir uns mit der Philosophie des HipHop auseinander.

Wenn wir Philosophie mit Hegel als „ihre Zeit in Gedanken erfasst“ begreifen, dann kann sie nicht an popkulturellen Phänomenen vorbeisehen. Mit seinen vielseitigen kulturellen, religiösen und philosophischen Ausdrucksformen und verschiedenen Praktiken (Break-Dance, Beatboxing, Rap, Graffiti, Kleidung etc.) bestimmt HipHop die Lebenswirklichkeit vieler junger Menschen. RapperInnen  stellen immer wieder neu die Frage „Wie sollen wir zusammen leben?“. Ihre Texte handeln von Gewalt, Verzweiflung, Glauben und Hoffen. Wenn sie fragen „Wem gehört die Stadt?“, dann rappen sie an gegen eine aus ihrer Sicht vermachtete Öffentlichkeit.

Unter anderem fand im Sommersemester 2015 unser Forschungsseminar zu diesem Thema statt sowie der Workshop "Was ist das - HipHop?".

Im Juni 2015 wurde ein außergewöhnliches Experiment durchgeführt. In Kooperation mit der Landeshauptstadt Hannover - Wissenschaftsstadt, dem Bistum Hildesheim und den Hannah-Arendt-Tagen hat das fiph RapperInnen und PhilosophInnen für eine gemeinsame Session auf die Bühne gebracht. Unter dem Titel "Stimmen der Stadt - HipHop Botschaften" performten und diskutierten RapperInnen und PhilosophInnen aus Deutschland und den USA im Pavillon Hannover über ihre Texte und Anliegen. Dabei waren die RapperInnen Megaloh, Sookee, Spax u.a. sowie Dr. Christopher Driscoll (Lehigh University / USA), Dr. Monica Miller (Lehigh University / USA), Dr. Lissa Skitolsky (Susquehanna University / USA), Prof. Anthony Pinn (Rice University / USA), Dr. Eike Brock (fiph), Prof. Jürgen Manemann (fiph) und Prof. Miriam Strube (Universität Paderborn).

Der NDR brachte einen Vorbericht, auch die Neue Presse berichtete.

Gottes Tod und Nihilismus am Beispiel des HipHop

HipHop kann als Versuch gelesen werden, Wirklichkeit aufzubrechen, um wirkliche Wirklichkeit hervortreten zu lassen. Wirkliche Wirklichkeit ist aber nicht das, was Phänomenologen als wesentlich unterstellen und von der uneigentlichen Wirklichkeit abgrenzen. Die „Realness“, um die es dem HipHopper geht, ist eine wirkliche Wirklichkeit, die es glaubhaft in Szene zu setzen gilt. „Realness“ ist eine theatrale Kategorie. Wer real sein will, ist aufgefordert, kreativ und aktiv zu sein.

Zum ersten Verständnis des HipHop bieten sich die 10 Gebote des HipHop an, wie sie Spax in seinem Song „Testament“ oder Curse in „Zehn Rap Gesetze“ formuliert. [...]

Rapper*innen provozieren mit Tabubrüchen, um auf die schleichende Selbstabschaffung des Menschen aufmerksam zu machen. Dazu greifen sie auf vielseitige kulturelle, religiöse und philosophische Ausdrucksformen und verschiedene Praktiken zurück: Break-Dance, Beatboxing, Rap, Graffiti, Kleidung etc. Sie besitzen ein Gespür dafür, dass der spätmoderne Mensch die Herausforderung, die das Leben ist, auszuweichen versucht. In der Philosophie steht bekanntlich Friedrich Nietzsche dafür Formen des Selbstbetrugs aufzubrechen. Aus diesem Grund verkündete er den Tod Gottes und forderte dazu auf, mit dem Hammer zu philosophieren. Er zielte auf einen Menschen, der fähig ist, dieser Herausforderung standzuhalten. Ein Blick auf die zunehmenden Erschöpfungstendenzen in spätmodernen Gesellschaften zeigt, dass die Nachricht vom Tod Gottes und die mit dieser Nachricht einhergehende Herausforderung durch Nietzsche noch längst nicht verstanden, geschweige denn überwunden ist. Nicht der Übermensch, der Mensch, der dem Leben standzuhalten versucht, sondern das erschöpfte Selbst ist der Typus der Spätmoderne (vgl. E. Brock, Nietzsche und der Nihilismus, Berlin/Boston 2015). Der spätmoderne Mensch entledigt sich immer mehr der Bedeutungsschwere des Lebens (R. Müller, Vom Verlust der Bedeutungsschwere, Dresden 2015). Im HipHop finden sich Stimmen, die dieser Subjektmüdigkeit entgegenwirken und in neuer Weise mit dem Hammer philosophieren. Dazu werden religiöse Traditionen aufgegriffen, verfremdet und neu zusammengesetzt. Genannt seien an dieser Stelle:

Jay Z: "No Church in the Wild"

Apollo Brown / Ras Kass: "How to kill God"

Alligatoah: "Mein Gott hat den Längsten"

Rick Ross feat. Jay Z: "The Devil is A Lie"

In diesen Songs wird deutlich, dass es nicht nur um die Verfremdung religiöser Traditionen geht, sondern um einen Nihilismus, der Wege zu einer neuen Religion aufzeigen will. Diese Formen eines dekonstruktiven Nihilismus stehen für die Stiftung einer neuen Religion. Es geht also darum, alternative Orientierungen durch die Refiguration und Neuerfindung von Religion zu denken. In diesem Sinne ist HipHop als eine säkulare Substitution traditioneller Religionsformen zu verstehen. Im deutschen HipHop sind die Bezüge zu religiösen Traditionen allerdings nicht so ausgeprägt wie im US-amerikanischen.

Daneben gibt es Rapper, die den Tod Gottes für eine ausgemachte Sache halten. Sie geben sich radikal nihilistisch. Wobei hier die Frage zu stellen ist, ob sie nicht mit dieser Form eines aktiven Nihilismus über den Nihilismus hinauskommen wollen, indem sie durch ihn hindurchgehen. Hier wäre auf die Lieder „boom boom boom“ und „Hurra die Welt geht unter“ von K.I.Z. hinzuweisen.

Diese kurzen Hinweise sollen zeigen, wie dringlich die theologische und religionspädagogische Auseinandersetzung mit dem HipHop ist.

Eike Brock / Jürgen Manemann

(Veröffentlicht in Religion unterrichten, Januar 1-2016, S. 10)