Dr. Tom Vandeputte

Fellow von Oktober 2019
bis Juli 2021

Zur Person

Dr. Tom Vandeputte lehrt Kontinentalphilosophie und Kritische Theorie am Sandberg Institut Amsterdam, wo er auch das Critical Studies Department leitet. Promoviert wurde er am Goldsmiths, University of London, in Angliederung an das Centre for Philosophy and Critical Thought. Von 2017–2019 war er Fellow am Institut für Cultural Inquiry (ICI) in Berlin, womit er als Affiliated Fellow verbunden bleibt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorien der Sprache und Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere in Beziehung zum politischen Denken. Sein Buch Critique of Journalistic Reason: Language and History After Hegel erscheint 2020 bei Fordham University Press. Er publizierte in den letzten Jahren verschiedene Veröffentlichungen zu Benjamins Schriften über die Philologie, das Lesen und Interpretieren. Jüngste Publikationen: „Karl Kraus: Die Sprache rächen“, in: Jessica Nitzsche und Nadine Werner (Hg.), Entwendungen: Walter Benjamin und seine Quellen (Wilhelm Fink 2019, S. 263–280)und „Constellation and Configuration: Language and Reading in Benjamin’s Epistemo-Critical Prologue“, in: Caroline Sauter und Nassima Sahraoui (Hg.), Thinking in Constellations: Walter Benjamin and the Humanities (Cambridge Scholars 2018, S. 83–102). Aktuell arbeitet er an einer Studie über die Verbindung von Sprache und Politik in Benjamins Arbeiten über Karl Kraus.

 

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Projekt am fiph

Jenseits von Recht und Person: Gerechtigkeit in Benjamin und Weil

Dieses Forschungsprojekt widmet sich den Theorien der Gerechtigkeit zweier Denker, die trotz ihrer Affinitäten selten zusammen gelesen werden: Walter Benjamin und Simone Weil. Die Idee der Gerechtigkeit – und die Erfahrung der Ungerechtigkeit, mit der sie verbunden ist – spielt eine zentrale Rolle in der politischen Philosophie beider Denker. Für Weil wie für Benjamin muss jeder ernsthafte Versuch, sich eine Politik angesichts der Krisen des 20. Jahrhunderts vorzustellen, ein radikales Umdenken des Menschen selbst beinhalten. In einer Geste, die an Aristoteles' Politik erinnert, deren kanonische Definition des Menschen als zoon politikon von der Fähigkeit abhängt, das Gerechte (dikaion) und Ungerechte (adikaion) zu unterscheiden, reservieren Weil und Benjamin eine privilegierte Stelle für die Idee der Gerechtigkeit in ihren Versuchen, das eigentlich politische Element in der menschlichen Existenz zu artikulieren. Im Gegensatz zur aristotelischen Definition von Politik und der darauf aufbauenden rechtspolitischen Tradition beobachten beide Denker jedoch eine grundsätzliche Trennung zwischen der Idee der Gerechtigkeit und dem Bereich von Recht: was Benjamin als „ungeheuere Kluft (bezeichnet), die zwischen Recht und Gerechtigkeit dem Wesen nach klafft“. Nirgendwo ist diese „Kluft“ ausgeprägter als in der modernen Auffassung vom Menschen als Rechtswesen: eine juristische Person, deren sicherer Besitz von Menschenrechten durch das Recht garantiert und durch die Strafe durchgesetzt wird. Die Idee der Gerechtigkeit, die die politische Existenz des Menschen bestimmt, ist für Benjamin und Weil aber alles andere als ein juristischer Begriff. Im Gegenteil: Sie löst eine Kritik an den Kategorien Person, Recht, Gesetz und Strafe aus und markiert die Suche nach einem Prinzip, das eine Politik orientieren könnte, die nicht mehr von diesen Kategorien bestimmt und begrenzt ist.