Eraldo Souza dos Santos, M.A.

Fellow von Oktober 2019
bis Juli 2020

Eraldo Souza dos Santos studierte Philosophie, Kunstgeschichte sowie Erziehungswissenschaften an der Universität von São Paulo und der Universität Coimbra. Als Stipendiat der Europäischen Kommission absolvierte er sein Masterstudium im Rahmen des Programms ERASMUS-Mundus EuroPhilosophie („Deutsche und französische Philosophie in Europa“) an der Karls-Universität Prag, der Bergischen Universität Wuppertal und der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zurzeit promoviert er an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne bei Jean-François Kervégan.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle zwischen der politischen Philosophie, der Globalgeschichte und der Philosophie der Geschichte und der Geschichtsschreibung. Seine Dissertation – eine Begriffsgeschichte des zivilen Ungehorsams – versucht aus systematischer Sicht die Verwendung bzw. Erfindung der Vergangenheit in der politischen Philosophie der Gegenwart zu beleuchten und zu problematisieren.

Am fiph wird er seine Doktorarbeit fertigstellen und ihre Veröffentlichung als Buch vorbereiten.

 

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Projekt am fiph

Ziviler Ungehorsam: Eine Begriffsgeschichte

Im letzten halben Jahrhundert ist „ziviler Ungehorsam“ zu einem Grundtopos unserer politischen Sprache geworden. Die Bedeutung des Ausdrucks war jedoch zu vielen Gelegenheiten umstritten – von Debatten über die Radikalität der politischen Ziele von Occupy Wall Street, über Kontroversen zur Legitimität von Edward Snowdens Whistleblowing, bis hin zu den jüngsten Diskussionen über Pegidas Aufruf zum zivilen Ungehorsam.

Dieses Forschungsprojekt versucht zu solchen Debatten beizutragen, indem es die erste Begriffsgeschichte des zivilen Ungehorsams unternimmt. Analysiert wird die historische Entwicklung des Ausdrucks von seiner Verbreitung in amerikanischen abolitionistischen Kreisen im neunzehnten Jahrhundert, über Gandhis antikolonialen Widerstand, bis hin zur Aneignung des Begriffs durch amerikanische Liberale in den sechziger und siebziger Jahren.

Systematisch geht es darum, die Verwendung des Begriffs als analytische Kategorie zu hinterfragen. Es wird diskutiert, ob er relevant sein kann, um neue soziale Bewegungen bzw. neue Formen des Widerstands zu verstehen. Laut Theoretikern wie Robin Celikates und William Scheuerman ist das der Fall, sofern ziviler Ungehorsam „ein moralisches, politisches Cachet“ hat oder ein Gepräge trägt, das anderen Begriffen (etwa Verbrechen, Illegalität, Widerstand, politischer Ungehorsam oder Ungehorsam tout court) fehlt.

Der moralische und politische Inhalt eines solchen Cachets ist allerdings abhängig davon, wie wir die Geschichte des Begriffs rekonstruieren. Was ziviler Ungehorsam bedeutet bzw. wie ziviler Ungehorsam definiert wird, ist daher keine reine normative Frage, sondern ganz grundlegend auch eine Frage danach, wie wir implizit oder explizit genealogische Argumente in normativer politischer Philosophie mobilisieren. Eine kritische Theorie des zivilen Ungehorsams hat in dieser Hinsicht als zentrale Aufgabe, solche kryptischen historiographischen Auffassungen und Voraussetzungen zu enthüllen und diese mit den Quellen der Vergangenheit (Schriften, Reden, Dokumente) zu konfrontieren.