Christian Rößner

Stipendiat von April 2012 bis März 2013

Dass die Liebe zum Begriff, als die sich Philosophie ihrem Namen nach versteht, gleichwohl um des Begriffslosen willen ist und die höchste Wissenschaft jene, die um die Nichtwissbarkeit des Höchsten weiß, konnte ich von Denkern lernen, welche den Ernst des Wissen-Wollens mit der Redlichkeit der Selbsteinschätzung zu verbinden verstanden und verstehen.

Als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes studierte ich von 2002 bis 2008 Philosophie, Latinistik und Romanistik (mit dem Schwerpunkt Französisch) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und, während zweier Auslandssemester, an der Université de Paris-Sorbonne (Paris IV). Schwerpunkte meiner Studien waren und sind klassische Metaphysik und Moralphilosophie (Aristoteles, Thomas von Aquin, Kant) sowie die französische Phänomenologie, die ich en Sorbonne kennenlernen konnte und der auch meine Magisterarbeit gewidmet war, die das ethische Denken von Emmanuel Levinas behandelte. Seit 2009 arbeite ich unter der Betreuung von Prof. Dr. Christian Schröer (Universität Augsburg) an einer Dissertation zum Primat der praktischen Vernunft bei Kant und Levinas.

Neben einigen kleineren Studien, die u. a. Kants Lehrstück vom Faktum der Vernunft und seine Theorie des radikal Bösen zum Gegenstand haben, konnte ich unlängst eine erweiternde Überarbeitung der Magisterschrift abschließen, welche nun als ein Beitrag „Zur phänomenologischen Genealogie moralischer Subjektivität nach Emmanuel Levinas“ erscheinen wird. Aus Levinas’ Perspektive den Zusammenhang von Moral- und Religionsphilosophie bei Kant zu beleuchten, ist das aktuelle Anliegen meiner Arbeit an der Dissertation.

Projekt am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

"Ethik als Erste Philosophie? Das Primat der praktischen Vernunft zwischen Immanuel Kant und Emmanuel Levinas"

Einer vergleichenden Auseinandersetzung mit Kant und Levinas scheint auf den ersten Blick das tertium comparationis zu fehlen. Denn nimmt man die beiden Philosophen beim Wort, so steht Kants Entdeckung der Autonomie als Selbstgesetzgebung der reinen praktischen Vernunft die von Levinas wiederholt mit allem Nachdruck vorgebrachte These entgegen, die Ethik verdanke sich einer ihr wesentlichen Heteronomie, einer fundamentalen Abhängigkeit des moralischen Subjekts von jenem berühmt berüchtigten „Anderen“, der oder das alles andere zu sein scheint als ein von der Vernunft in souveräner Selbstgesetzlichkeit hervorgebrachtes „Faktum“.

Ausgehend von einer an der responsiven Phänomenologie von Bernhard Waldenfels geschulten Relektüre von Kants praktischer Metaphysik, welche das Faktum der Vernunft als ein paradoxes Datum der Vernunft auszuweisen sucht, lässt sich aber schon bei Kant die Geltung des kategorischen Imperativs auf seine Genesis hin befragen. Diese Rückfrage auf den status nascendi der Ethik markiert die Schnittstelle, an der die von Levinas aus dem Anspruch des Anderen entfaltete phänomenologische Genealogie moralischer Subjektivität ihre systematische Relevanz erweist. Insofern in Kants kritischer Metaphysik ein auf theoretisch‑ontologischer Ebene „alles zermalmender“ Phänomenalismus durch eine auf praktisch‑ethischer Ebene erfolgende Rettung der Noumena aufgehoben wird, lässt sich in dieser gegenstrebigen Dialektik jene für das Denken von Levinas so charakteristische Doppelbewegung aus ontologischer De(kon)struktion und ethischer Rehabilitierung des Subjekts präfiguriert sehen.

Dadurch dass die Dissertation dem primär praktischen Anspruch der Vernunft nachzugehen sucht, soll nicht nur eine latente Familienähnlichkeit zwischen Kant und Levinas aufgedeckt, sondern sollen auch Möglichkeit und Notwendigkeit einer kritischen Selbstaufklärung der Vernunft gegen einen illusionären Idealismus wie gegen einen postmodernen Indifferentismus behauptet werden.