Prof. Dr. Gerald Hartung

Fellow von Oktober 2003 bis Juli 2004

geb. 1963 in Osnabrück

Beruflicher Werdegang

1982-1989: Zunächst Studium der Theologie, dann der Philosophie, Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin

1990-1990: Promotionsstipendium

1992-1997: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin, Fachrichtung: Geschichte der Philosophie und Geisteswissenschaften

1994: Promotion an der FU Berlin

1998-2003: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt "Ernst Cassirers Studien und Vorlesungen zur Philosophischen Anthropologie. Edition aus dem Nachlass"

2002: Habilitation an der Universität Leipzig. Seitdem ebenda Privatdozent

Von Oktober 2003 bis Juli 2004: Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

Zur Homepage von Gerald Hartung

Projekt am fiph

"Philosophische Positionen des Pluralismus in den Geistes- und Kulturwissenschaften"

Der Abschied von der Geschichtsphilosophie zieht sich seit mehr als anderthalb Jahrhunderten merklich in die Länge. Von den tradierten Einheitskonzepten – Einheit des Glaubens, des Wissens, der Geschichte – ist zwar vordergründig wenig übriggeblieben, aber was ist mit "Evolution", "Humanität", "Natur" des Menschen und "Menschenrechten" und anderen Universalisierungskonzepten? Offensichtlich ist unser Bedürfnis, die Vielfalt der Erscheinungsformen in eine Einheit zu bringen, nach wie vor sehr stark. Wo wir Entwicklung – in der Natur wie in der Kultur – beobachten, sprechen wir zumeist von Einheitlichkeit, Zweckmäßigkeit und Zielgerichtetheit.

Möglicherweise gibt es für uns keinen anderen Weg, kulturelle Identität in ihrer Entwicklung zu stabilisieren. Deshalb erscheint es auch als allzumenschlich, dass wir im Blick auf unsere jeweilige Identität nicht ihr Gewordensein, hinter der Wirklichkeit unserer Lebenswelt nicht weitere Möglichkeiten, hinter dem Horizont unseres Wissens nicht weitere Horizonte und in unseren Denk-Konzepten nicht bloße Hypothesen erblicken. Weil das so ist, hat William James unserer Epoche vor nahezu hundert Jahren eine Aufgabe genannt, deren Aktualität keineswegs verblaßt ist. Es mag ja sein, so James, daß wir dereinst eine konsistente Vorstellung von der Einheit der Welt, mit einem Ursprung, einer durchgehenden Struktur und einem voraussichtlichen Ende haben werden, aber meanwhile müssen wir mit dem Zustand der Unvollkommenheit klarkommen. Wir müssen sogar mit der plausiblen aber schwer bekömmlichen Hypothese arbeiten, daß wir diesen Status unvollkommener Erkenntnis der Welt und unserer selbst nie werden verlassen können.

Meine Absicht war es, in meinem Forschungsprojekt – unter Rückgriff auf die Überlegungen von William James – eine problemgeschichtliche (Re-)Konstruktion des Methoden- und Weltanschauungspluralismus in den Geistes- und Kulturwissenschaften vorzunehmen. Das Projekt besteht aus zwei Teilbereichen. Rekonstruktion (Teil 1) meint in diesem Zusammenhang, daß sich im Schatten Hegels bereits mehrere Konzepte entwickelt haben, die anhand der Leitbegriffe Wissenschaftstheorie, Weltanschauung und Leben Hegels Darstellung des erscheinenden Wissens auf die Vielfalt der Erfahrungswelt überblendet haben: Dieser Weg führt von Trendelenburg und Lotze zu Dilthey und Cassirer wie auch zu James und Dewey, von Nietzsche und Eucken über Bergson, Simmel und Scheler zu Heidegger und von Husserl zu Schütz, um nur die Hauptpassagen zu nennen. Im Rückblick auf den philosophischen Diskurs des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zeigt sich, dass es in diesen Bereichen – den Logiken der Wissenschaften, den Typologien der Weltanschauungen und den Philosophien des Lebens – gleichermaßen darum geht, die "Totalität" und die "Differenziertheit" der Formen herauszuarbeiten, in denen sich menschliches Denken und Handeln vollzieht. Konstruktion (Teil 2) hingegen meint, darauf aufbauend, daß die genannten pluralistischen Theorieansätze in eine liberalistische Konzeption eingefaßt werden (und umgekehrt), insofern es darum geht, wie Ernst Cassirer sagt, "jedem Versuch des Welt-Verständnisses, jeder Auslegung der Welt, deren der menschliche Geist fähig ist, ihr Resultat zuzuerkennen und sie in ihrer Eigentümlichkeit zu begreifen." Die Anerkenntnis einer jeden Weltauslegung und die Gewährung von Freiheit so wie die Praxis der Toleranz bedingen sich wechselseitig. Zwar fehlen hier sowohl eine logische als auch eine geistesgeschichtliche Verknüpfung, wie Isaiah Berlin zu recht bemerkt hat. Ziel des Forschungsprojekts war es deshalb, diese Bereiche als komplementär innerhalb einer Theorie der modernen Kultur darzustellen.