Dipl.-Pol. Jeanette Ehrmann

Fellow von Oktober 2014 bis Februar 2016

Übersetzung und Übersetzbarkeit zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen und Normen sind ein wichtiger Teil meiner persönlichen und intellektuellen Biographie. In einer Familie aufgewachsen, die durch die Erfahrung der Diaspora geprägt ist, wurde ich bereits als Heranwachsende in einem bayerischen Dorf mit den Chancen und Grenzen der Übersetzbarkeit konfrontiert. Diese Thematik hat nach meinem Abitur auch meine Studienwahl beeinflusst. Im Rahmen meines Studiums der Politologie, Soziologie und Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt und der University of Cyprus, Nicosia, hatte ich die Möglichkeit, mich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch mit transnationalen und transkulturellen Zusammenhängen zu beschäftigen. Nach dem Abschluss meines Studiums im Jahr 2008 arbeitete ich zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies. Dort beschäftigte ich mich vor allem mit der Übersetzbarkeit von Gerechtigkeit, Feminismus und Menschenrechten in post/kolonialen Kontexten. Dieses Interesse verfolge ich heute im Rahmen meines Dissertationsprojektes über die Haitianische Revolution als zentrales und doch verdrängtes Ereignis der Moderne. Dank eines Promotionsstipendiums der Heinrich-Böll-Stiftung konnte ich das Thema in verschiedenen theoretischen als auch sprachlichen Kontexten diskutieren: als Mitglied des Collège doctoral Normes et constructions sociales an der Université Paris 1 Pantheon-Sorbonne, als Gasthörerin am Collège international de Philosophie, Paris, sowie als Gastforscherin an der Université d’État d’Haïti in Port-au-Prince. Im Oktober werde ich als Fellow des David Nicholls Memorial Trust die Möglichkeit haben, an der University of Oxford zu forschen. Meine Zeit als Fellow am fiph möchte ich nutzen, um die Dissertation fertig zu stellen und daran anknüpfend ein neues Forschungsprojekt zu beginnen.

Projekt am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

Die Haitianische Revolution als Ereignis und Kritik der europäischen Moderne

Die Haitianische Revolution (1791 bis 1804) war die historisch erste und einzige erfolgreiche Revolution von Versklavten. Sie führte nicht nur zur Befreiung von französischer Kolonialherrschaft, sondern auch zur ersten Abschaffung der kolonialrassistischen Versklavung von afrikanischen Menschen im 19. Jahrhundert. Obwohl dieses Ereignis die lateinamerikanischen Unabhängigkeiten sowie den Abolitionismus in Europa und den USA beeinflusste und eine enorme Wirkung auf prominente Figuren der europäischen Geistesgeschichte, etwa Hegel, Edmund Burke und Heinrich von Kleist ausübte, wird die Haitianische Revolution in der Ideengeschichte des Zeitalters der Revolutionen verschwiegen oder auf eine bloße Imitation oder Umsetzung der Französischen Revolution reduziert. Vor diesem Hintergrund entwickle ich in meinem Dissertationsprojekt mit dem Titel „Tropen der Freiheit. Der radikale Universalismus der Haitianischen Revolution“ eine Deutung, die die Selbstbefreiung Schwarzer Menschen in ihrer normativen Grammatik ernst nimmt und auf ihren universellen Gehalt hin befragt. Dabei verorte ich die Freiheits- und Gleichheitsideale der Haitianischen Revolution theoretisch zwischen einem Kontinuum von Mimikry, einer bereits subversiven Aneignung der europäischen Aufklärung, und Poiesis, der kreativen Neuschöpfung eines politischen Gemeinwesens und einer politischen Identität. Meine These ist, dass die unvollendeten Versprechen der Haitianischen Revolution auch heute, unter postkolonialen Vorzeichen, von unverminderter Relevanz sind, um einen universellen Maßstab der Kritik an globaler Ausbeutung, Rassismus und Unfreiheit zu entwickeln. Während meiner Zeit als Fellow am fiph möchte ich insbesondere den dort bestehenden Forschungszusammenhang Philosophy of Race nutzen, um an dieser Perspektive weiter zu arbeiten. Nach Abschluss meiner Dissertation plane ich, an die politisch aktuelle und philosophisch kontrovers diskutierte Frage der Entschädigung für Versklavung und Versklavungshandel anzuknüpfen. Hier verdichten sich historisches und fortwirkendes Unrecht sowie die moralische, politische und juridische Dimension von Schuld, Entschuld(ig)ung und Entschädigung in einem transnationalen Kontext. Der Forschungsschwerpunkt des fiph zu aktuellen Gerechtigkeitsproblemen scheint mir ein idealer Ort zu sein, um diese Problematik gemeinsam mit den anderen Fellows und einer interessierten Öffentlichkeit zu diskutieren und weiterzudenken.