Dr. Eike Brock

Fellow von Oktober 2013 bis Juli 2015

Von Sören Kierkegaard und Friedrich Nietzsche habe ich gelernt, den Einzelnen und das Einzelner-Sein zu achten. Meine Kinder legen mir unterdessen nahe  (gewissermaßen per Indizienbeweis), dass der Schlüssel zum guten Leben im Aufeinanderzugehen und Miteinandersein liegt. Langsam geht mir auf: Zwischen Einzelner-Sein und Miteinandersein gibt es keinen Widerspruch.

2008 habe ich mein Studium der Philosophie, Germanistik und Theologie an der Universität Bonn als Magister abgeschlossen. Noch im selben Jahre wechselte ich in die Rolle des Lehrenden und bin bis heute Lehrbeauftragter am Bonner Institut für Philosophie geblieben. Mein Doktorat absolvierte ich allerdings an der Universität Würzburg, wo ich 2012, betreut von Jörn Müller, mit einer Arbeit über Nietzsche und den Nihilismus zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. Bei meiner Studie handelt es sich um eine werkgenetische Untersuchung von Nietzsches Philosophie am Leitfaden der Nihilismus-Problematik, die meines Erachtens bereits das Frühwerk des Philosophen maßgeblich bestimmt und sich als wesentliches Thema in Nietzsches Denken durchhält. Wichtig ist mir zu betonen, dass der Nihilismus nicht allein ein kulturelles Phänomen darstellt (Stichwort: europäischer Nihilismus), sondern im Menschen selbst angelegt ist als eine äußerste, negative Weise, sich zu sich selbst zu verhalten.

Derzeit beschäftige ich mich mit den spezifischen Lebensbedingungen in der Spätmoderne unter der Problemstellung, wie angesichts der Ökonomisierung, Akzeleration und Technisierung aller Lebensbereiche ein gutes und weitgehend selbstbestimmtes Leben (dennoch) möglich ist. Diese Problematik wird mich auch während meiner Zeit als Fellow am fiph umtreiben. Mein philosophisches Hauptaugenmerk liegt auf existenzund kulturphilosophischen (bzw. kulturkritischen) Fragen. Außerdem interessiere ich mich für die Sache der sogenannten Philosophischen Praxis.

Projekt am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

Von der Philosophie, der Literatur und dem guten Leben. Versuch einer narrativen Philosophie für die Spätmoderne

Mit Richard Rorty und Stanley Cavell bin ich der Auffassung, dass es nicht sinnvoll ist,  streng zwischen dem Ethischen und dem Ästhetischen zu unterscheiden, so als handelte es sich um zwei grundsätzlich voneinander getrennte Sphären. Für Rorty ist das Ästhetische nicht bloß „eine Sache von Form und Sprache“, sondern unbedingt auch von „Gehalt und Leben“. Demzufolge hat das Ästhetische ein Mitspracherecht, wenn es um die moralphilosophische Grundfrage nach dem guten Leben geht. Es empfiehlt sich in Sachen gutes Leben nicht allein auf die Stimme der Philosophie zu hören – ich gehe von einer Person aus, die es so ernst mit dieser Frage meint, wie es diese (ernste) Frage verdient und sich infolgedessen nicht mit mehr oder weniger wohlfeiler Ratgeberliteratur abspeisen lässt –, sondern auch auf den Weisheitsschatz der Literatur zu vertrauen. Denn literarische Werke (sofern sie ein bestimmtes Maß an Qualität aufweisen) bringen eine Reihe von Eigenschaften mit, die unbedingt in den moralphilosophischen Diskurs eingespeist werden sollten. So ist Literatur in der Lage, unser moralisches Urteilsvermögen zu schulen. Mitunter ist sie gar befähigt, eine Umgestaltung der Persönlichkeit des Lesers/der Leserin zu bewirken bzw. mindestens in Gang zu setzen. Martha Nussbaum ist davon überzeugt, dass wir durch neu gewonnene Überzeugungen prinzipiell in der Lage sind, unseren eigenen Charakter zu modellieren. Es sei „durchaus möglich, an sich selbst zu arbeiten, und (…) die eigene Person in erheblichem Maße umzugestalten: zuerst das Verhalten und dann allmählich auch die innere Welt.“ Die Literatur ist ein hervorragend geeignetes Medium, solche charakterbildende Arbeit anzustoßen. Literarische Werke können uns ferner motivieren, an der Gestaltung der Gesellschaft aktiv mitzuwirken, indem sie Utopien auf der einen oder Dystopien auf der anderen Seite entwerfen, die uns anspornen, für bestimmte Werte einzustehen, sei es, um die Realisation bestimmter Szenarien auf den Weg zu bringen oder um das Wirklichwerden anderer (Horror)Szenarien zu verhindern. Aufgrund ihrer imaginativen Kraft vermag Literatur, Welten zu konstruieren und vor unserem inneren Auge entstehen zu lassen. Es liegt in ihrem Möglichkeitsbereich, mit alternativen Weltbeschreibungen aufzuwarten, die wir als kritischen Maßstab an unsere jeweilige Weltbeschreibung anlegen können. 

In meinem Projekt am fiph ist es mir darum zu tun, die Philosophie und die Literatur miteinander ins Gespräch zu bringen, so dass sie sich gegenseitig bereichern, wenn es darum geht, wie sich (gerade unter den Bedingungen der Spätmoderne) ein gutes Leben führen lässt.