Simon Duncker MA

Fellow von Oktober 2023
bis Juli 2025

Zur Person

Simon Duncker hat an der Universität Bielefeld Bachelor und Master der fachwissenschaftlichen Soziologie studiert und promoviert nun dort im Fach Soziologie. Er ist an Politischer Philosophie interessiert und hat sich insbesondere mit marxistischen Theorien, Kritischer Theorie und poststrukturalistischer Theoriebildung auseinandergesetzt – Strömungen, die er sich stärker zu vermitteln wünscht. Während seines Studiums hat er mehrere Jahre in der psychiatrischen Eingliederungshilfe gearbeitet. Das hat ihn dazu bewogen, sich mit Psychiatriegeschichte und Antipsychiatrie zu beschäftigen.

Im Rahmen seiner Dissertation hat sich Simon Duncker weiter in Machttheorien, das Werk Michel Foucaults und philosophie- sowie wissenschaftsgeschichtlich in den Gegenstand Suizid vertieft. Am Gegenstand ist für ihn die ethische Dimension aus Foucaults Spätwerk relevant geworden, wobei ihm die freundschaftliche Nähe zu Nietzsches Metaphysikkritik aufgefallen ist. Momentan ist er von der Psychoanalyse Freuds und Lacans fasziniert. Dabei ist es ihm ein Anliegen, das strukturelle Verhältnis zum Tod herauszuarbeiten und dieses für eine Suizidethik fruchtbar zu machen.

Simon Duncker lebt und arbeitet als Autor und Lektor in Berlin und ist dort in der Mieterinnenbewegung engagiert. Aktuell beschäftigt ihn die gesetzliche Neuregelung des assistierten Suizids. Als Herausgeber eines bald erscheinenden Sammelbandes, der historische und gesellschaftstheoretische Perspektiven auf Sterbehilfe in zwei Buchdeckeln zusammenbringt, möchte er in Zeiten eines historischen Umbruchs den Blick der aktuellen Sterbehilfedebatte erweitern.

Das Projekt am FIPH

Titel: Die moderne Ordnung der Freiheit zum Tode – Moderne Suiziddiskurse und die Macht über Lebensmüde
 

Soll ich mir das Leben nehmen? Als legitimes Problem einer individuellen Entscheidung stellt sich diese Frage erst wieder in der Moderne. In christlichen Kulturen stand Suizid die meiste Zeit unter Strafe und galt als Sünde. Erst im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Sündhaftigkeit in Frage gestellt. Die Entkriminalisierung begann in Preußen unter Friedrich II. im Jahr 1751, setzte sich in Europa aber erst allmählich durch, bis erst 1961 auch Großbritannien dem Beispiel folgte. Dass das Leben dem Lebenden selbst gehört und er darüber entgegen irgendwelcher Ansprüche von Gottesvertretern, Familie oder Staat verfügen können soll, ist eine moderne Idee. Doch die Moderne ist von dem Widerspruch durchzogen, neben individueller Freiheit Mechanismen der Kontrolle dieser Freiheit hervorzubringen.

Mithilfe einer strukturalistischen Diskursanalyse die zentralen semantischen und institutionellen Ordnungen der Moderne zu beschreiben, die die individuelle Freiheit, sich das Leben zu nehmen, denkbar und praktizierbar werden lassen, ist das erste Ziel der Arbeit. Welche diskursiven Regeln strukturieren das wissenschaftliche Denken des Suizids und welche Normativitäten aus Theologie und Moralphilosophien leben in ihnen implizit fort? Welche Stellung nimmt das „suizidale Subjekt“ in diesen Denksystemen von Psychiatrie, Psychologie und Sozialwissenschaft ein?

Zum zweiten soll gezeigt werden, wie diese Ordnungen den Gegenstand Suizid auf neue liberale Art und Weise jenseits von Verboten kontrollierbar machen konnten– vermittelt durch ebenjene Freiheiten, die die Ordnungen hervorbrachten. Dafür werden diese machttheoretisch im Hinblick auf moderne Regierungsrationalitäten reflektiert, die Michel Foucault im 18. und 19. Jahrhundert aufkommen sah: 1) Sozialwissenschaftliche Biopolitik, die das Leben durch statistische Vermessung und bevölkerungspolitische Interventionen zu schützen begehrt; 2) psychiatrische Disziplin, die auf die Körper von Patientinnen in Anstalten einwirkt, um ihnen ihren Sterbewunsch auszutreiben; und 3) das psychologische Pastorat, das durch gute Führung Patientinnen zum Lebenswillen zurückgeleiten soll. Gemeinsam bilden sie das moderne Suiziddispositiv, das sich die Arbeit zu rekonstruieren vornimmt.

Jenseits der Moral dieses Dispositivs wird in Anschluss an Nietzsche, Marx, Freud die Möglichkeit suizidaler Ethik aufscheinen, die suizidale Subjekte durch die Kultivierung von Selbsttechniken befähigen mag, „nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault)