Sinn für Ungerechtigkeit - ethische Argumentationen - globale Ordnungen

Globalisierungs- und Modernisierungsprozesse setzen unserer Einschätzung nach bisher bekannte Ansätze von Gerechtigkeitstheorien unter Druck und fordern ihre Weiterentwicklung. Die herkömmlichen Konzeptionen (etwa das etablierte sozialstaatliche Arrangement) gehen in der Regel noch von einer „Container-Vorstellung“ (Wilfried Hinsch) einzelstaatlicher Gesellschaften aus und begreifen Gerechtigkeit noch als eine Forderung, die in erster Linie auf nationaler Ebene zu realisieren sei. Sie stehen dabei in der Gefahr, die immer auch gerechtigkeitstheoretisch relevanten Chancen und Gefahren des Globalisierungsprozesses aus dem Blick zu verlieren und damit die zukünftigen Möglichkeiten politischer Institutionalisierung von Gerechtigkeit zu gefährden. Andererseits stehen prozeduralistische Konzeptionen, die doch der Pluralität globalisierter Gesellschaften entgegen kommen sollten, z. Zt. verstärkt in der Kritik. Sie berücksichtigen zu wenig die Bedeutung von substanziellen Vorstellungen Guten Lebens für die Bereitschaft zur Solidarität und für lebensweltlich verankerte Gerechtigkeitsintuitionen innerhalb nationaler Gesellschaften und über sie hinaus. Schließlich kommt zu wenig in den Blick, wie Gerechtigkeitsforderungen angesichts globaler funktionaler Differenzierung in modernen Gesellschaften überhaupt noch durchgesetzt und implementiert werden können. Angesichts dieser Schwierigkeiten gibt es starke theoretische und praktische Tendenzen, moralische Gerechtigkeitsdiskurse als solche für naiv, unterkomplex und hoffnungslos obsolet zu erklären.

Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen beschäftigten wir uns ausgehend von verschiedenen Traditionen im Verständnis von Gerechtigkeit mit den folgenden Fragen:

  • Der "Sinn für Ungerechtigkeit" als ein möglicher Zugang zur Aufdeckung von Gerechtigkeitslücken
  • Begründung von Gerechtigkeitsforderungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kulturen und des wachsenden Pluralismus innerhalb der Kulturen
  • Verfahrensgerechtigkeit und unterschiedliche Konzeptionen Guten Lebens
  • Kompatibilität minimaler globaler Gerechtigkeitskonzeptionen mit weitreichenderen Gerechtigkeitsvorstellungen und verschiedenen Vorstellungen Guten Lebens
  • Gerechtigkeit und ökonomische Anreizsysteme sowie politische Institutionen vor dem Hintergrund fortschreitender und zunehmend globaler werdender funktionaler Differenzierung
  • Verhältnis unterschiedlicher „Gerechtigkeiten“ zueinander vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen: Tausch-, Rechts-, Verteilungs-, Chancen- und Beteiligungsgerechtigkeit

Die Arbeitsweise der Gruppe sah so aus, dass es pro Jahr vier ganztägige Arbeitstreffen gab, mindestens einmal davon mit Übernachtung (von Mittag bis Mittag). Die Treffen fanden überwiegend in Hannover und Münster, gelegentlich auch an anderen Orten statt. Pro Treffen wurden von den Mitgliedern der Gruppe „Papers“ vorbereitet und dann während der Treffen intensiv diskutiert werden. Im Jahre 2004 wurde in Form einer Kooperationstagung mit dem Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld eine Zwischenbilanz gezogen, deren Resultate inzwischen unter dem Titel "Sinn für Ungerechtigkeit. Ethische Argumentationen im globalen Kontext" beim Nomos Verlag erschienen sind.
An einer Fortsetzung des Projektes wird gearbeitet.
In diesem Themenbereich fand zudem vom 15.-17. Dezember 2006 ein Symposium unseres ehemaligen Fellows Lukar Meyer in Bern/Schweiz statt, mit dem Titel "Justice, Legitimacy, and Public International Law".