Prof. Dr. Jürgen Goldstein

Fellow von Oktober 2009 bis Juli 2010

Bei Hans Blumenberg habe ich erlernen können, dass man als Philosoph – mit den Worten Paul Valérys – ein Spezialist des Universalen zu sein hat. Philosophie ist eine Reflexionswissenschaft, die es somit letztlich mit allem zu tun bekommt, was reflektierbar ist. Philosophen haben – bei aller Detailgenauigkeit – unweigerlich immer auch Generalisten zu sein.

Mein Studium der Philosophie, der Katholischen Theologie und der Soziologie habe ich an der Universität Münster als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes 1996 mit einer Dissertation über den Zusammenhang von spätmittelalterlichem Nominalismus und der neuzeitlichen Auffassung des Subjekts bei Wilhelm von Ockham und Hans Blumenberg abgeschlossen. Betreut wurde die Arbeit von dem Theologen Johann Baptist Metz, dem ich wesentliche Einsichten in die zeitgenössische Theologie verdanke, ohne zum Theologen geworden zu sein – stattdessen bin ich ein Philosoph mit fundierten Theologiekenntnissen. An der Universität Bonn habe ich mich 2005 als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter der Betreuung von Wolfram Hogrebe mit einer Studie über den Zusammenhang von Kontingenz und Rationalität bei Descartes habilitiert. Seitdem bin ich in Bonn als Privatdozent tätig. Im WS 2008/09 und im SS 2009 war ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie in Bonn beschäftigt.

Derzeit arbeite ich über Aspekte der Politischen Philosophie der Gegenwart bei John Rawls, Charles Taylor, Alasdair MacIntyre, Hannah Arendt, Dolf Sternberger, Martha Nussbaum und Jürgen Habermas, nachdem eine Studie über die neuzeitliche Wahrnehmung der Natur vom 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart von mir nahezu fertiggestellt worden ist.

Projekt am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover

„Vernünftiger Pluralismus. Krise oder Vollendung der praktischen Philosophie?“

Liberale Gesellschaften lassen sich geradezu an dem Merkmal erkennen, dass in ihnen ein Pluralismus von widerstreitenden Wertvorstellungen, Leitbildern, Idealen und Weltorientierungen herrscht. Man mag diesen Pluralismus als einen Verlust von verbindlichen Leitideen bedauern oder als eine Ressource gesellschaftlicher Kreativität begrüßen – so oder so handelt es sich um einen faktischen Pluralismus, der sich nicht ohne Verlust der Liberalität zugunsten einer wie auch immer gearteten Einheit der Gesellschaft überwinden lassen wird. Der amerikanische Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls ist einen Schritt weiter gegangen, indem er nicht allein von einem faktischen, sondern von einem vernünftigen Pluralismus der demokratischen Gesellschaften gesprochen hat. Für Rawls ist dieser Pluralismus kein zu bedauerndes Resultat einer verloren gegangenen Einheit, sondern ein zu begrüßendes Ergebnis der freien, sich ungehindert entfaltenden praktischen Vernunft. Divergierende politische Philosophien werden vor diesem Hintergrund als sich ergänzende, komplementär aufeinander beziehende Spiegelungen des Vernünftigen lesbar.

Ziel des durchzuführenden Forschungsprojektes ist es, dem Spektrum des vernünftigen Pluralismus anhand zentraler Vertreter der Politischen Philosophie im 20. Jahrhundert nachzugehen. Bereits von mir erarbeitete Darstellungen der Positionen von John Rawls, Charles Taylor und Alasdair MacIntyre sollen durch Studien zu Hannah Arendt, Dolf Sternberger, Jürgen Habermas und Martha Nussbaum ergänzt werden, um die Symmetrien der politischen Philosophie aufzuzeigen. Dadurch soll deutlich gemacht werden, warum dem politischen Liberalismus der Kom­munitarisms gegenübersteht, warum der Konzeption einer reinen Verfahrensgerechtigkeit ein Neo-Aristotelismus widerspricht und wie die säkulare Gesellschaft auf die Wiederkehr der Religionen reagiert. Indem so der Raum des Politischen kartographiert wird, lassen sich die Krisen und Chancen der Moderne besser verstehen und diskutieren.